Der Ausstieg in das Bild
Zu neueren Arbeiten von Stefanie von Schroeter

I.
Das prekäre Verhältnis von (zweidimensionaler) Malerei und (dreidimensionaler) Wirklichkeit wird spätestens seit den späten 1950er-Jahren als ein widersprüchliches begriffen. 1981 dann brachte Laszlo Glozer dieses Problem in seinem „Westkunst“-Katalog mit den Worten „Ausstieg aus dem Bild, Wiederkehr der Außenwelt“ angesichts der künstlerischen Gefechte von Informel und Pop Art auf den Punkt. Vor allem der Gegensatz „Abstrakt – Gegenständlich“ stand damals, wie ansatzweise schon im Dadaismus, vehement zur Disposition, aber auch der von Bild und Objekt.

II.
Stefanie von Schroeter zitiert in ihren Bildern also nicht von ungefähr die informelle Malerei und konfrontiert diese immer wieder mit Stilelementen von Comic und Pop. Denn auch der Berliner Künstlerin geht es in ihrer bildlichen Kunst um eine intensive Aufladung ihrer Arbeiten mit Wirklichkeit. Doch der Mix der beiden einst scheinbar unvereinbaren Ästhetiken ist nur der erste Schritt bei dieser Aufladung, der zweite ist die Integration von objekthaften Formulierungen in ihre „Gemälde“. So steigt von Schroeter nicht aus dem Medium Bild aus, vielmehr schlägt sie den umgekehrten Weg ein, wagt nämlich stattdessen gleichsam den Ausstieg in das Bild.

III.
Doch der Reihe nach, und zunächst einen Blick auf die Gemälde der Künstlerin geworfen, die, wie bereits erwähnt, das abstrakte Formenvokabular des Informel nutzen, seine so geschwinden wie emotionalen Farbgesten, um dann aber „eine Erweiterung im Spektrum der Abstraktion“, wie Martin Hentschel über diese Bilder treffend schrieb, vorzunehmen. Diese Erweiterung nun zielt ab auf eine Annäherung an figurative Bildwelten, die, wie gesagt, unter anderem aus dem Kosmos des Comics zu kommen scheinen, auf eine Annäherung, die nie aber sich wirklich einlösen möchte, die immer auf eine wohlkalkulierte Distanz (noch) beharrt.

IV.
Diese Distanz gibt von Schroeter dann endgültig auf, als sie so um 2010 mit ihren „Knochenarbeiten“ beginnt. Ausgesuchte Tierknochen werden abgekocht, gesäubert und schließlich von der Künstlerin bemalt. Da die Knochen mit ihren länglichen Formen an malerische Gesten ihrer Gemälde erinnern und sie zudem farblich verfremdet sind, werden sie hier in gewisser Hinsicht bildlich, die „Knochenarbeiten“ inszenieren also dezidiert ein Wechselspiel von Zwei- und Dreidimensionalität. Auch dieses Wechselspiel nimmt übrigens Momente ihrer Gemälde auf, entwickelt die Künstlerin doch mit ihren abstrakt-poppigen Farbspuren ebenfalls „ein Geflecht, das gleichzeitig die Fläche wie die Raumtiefe des Bildes durchmisst“ (Martin Hentschel).
Inhaltlich aufgeladen sind diese bemalten Knochen zudem, lassen sie doch an Skelette denken, eben an das, was gleichsam übrig bleibt vom Leben. Als quasi-„Ruinen“ des Körpers finden sich Knochen, insbesondere selbstverständlich in Form des Totenkopfes, daher auch in Vanitas-Darstellungen des Öfteren wieder.

V.
Gleichzeitig entstehen Arbeiten, bei denen Stefanie von Schroeter banale Alltagsgegenstände wie Siebe, Kleider, Schuhe, Plastikstühle, Wäschekörbe und Schirme bemalt und anschließend teilweise zerstört, zerstört zum Beispiel durch Fußtritte, Hammerschläge oder Anbrennen. Die objekthafte Außenwelt kehrt hier wiederum dank der künstlerischen Bemalung ein Stück weit zurück ins Medium Bild. Die partielle Destruktion der Gegenstände – eine künstlerische Strategie, die übrigens Gustav Metzger mit seiner „self-destroying art“ in den 1960er-Jahren in die Kunst eingeführt hat – lässt zudem ihre Materialität als brüchig, als „sterblich“ erscheinen und transformiert sie dadurch zu trashig-poppigen, im selben Moment lapidar-trostlosen Vanitas-Motiven im Spannungsfeld von Low und High Culture.

VI.
In ihren jüngsten Arbeiten forciert die Künstlerin erneut ihren Ausstieg ins Bild, und zwar dadurch, dass sie jetzt ihre flächige Malerei mit ihren dreidimensionalen Objekten zusammenführt. Da sind also handelsübliche Plastiksiebe auf der Leinwand fixiert, auf beides wird in der für von Schroeter typischen Weise Farbe aufgetragen, anschließend wird dieses nun dreidimensionale „Gemälde“ mit Feuer traktiert, sodass sowohl die Leinwand wie die Siebe partiell angebrannt und löcherig werden. Die Siebe sind hier also integraler Bestandteil der Arbeit und in keinster Weise anders behandelt als der klassische Malgrund Leinwand.
Genau diesem unterschiedslosen und hierarchiefreien Umgang mit den vermeintlich dualen Systemen Fläche und Körper, Kunst und Alltag, Auftrag und Zerstörung gelingt dann die von Stefanie von Schroeter intendierte Aufladung ihrer Arbeiten mit Wirklichkeit, der Gegensatz von Bild und Außenwelt erscheint angesichts dieser Kunst für einen Moment lang aufgehoben.

Raimar Stange, Berlin im Oktober 2015